Aus dem Schacharchiv von Chess-Results.com: Artikel: 85 vom 01.06.1996, Kategorie Österreich
3. Internationales Linzer Meisterturnier 24. Mai bis 1. Juni 1996 im Siemensformum
Linz
Die Partien im PGN-Format gibt es hier.
Bereits um dritten Mal gab der Oberösterreichische Schach-Landesverband seinen
Spitzenspielern die Möglichkeit, eine internationale Meisternorm in heimischer Umgebung
zu erbringen. Der äußere Rahmen im Siemens-Forum in Linz bot die besten Bedingungen.
Durch kurzfristige, zum Teil krankheitsbedingte Ausfälle war die geplante FIDE-Kategorie
4 nicht mehr zu erfüllen und waren daher 6½ Punkte zu erfüllen.
Das Turnier begann aus Sicht der Oberösterreicher wenig erfreulich. Dr. Heinrich
Rolletschek, Voest Linz, startete mit zwei Niederlagen und Christian Weiß, SC Traun 67,
verbuchte nach sechs Runden ersten einen einzigen Punkt. Die Hoffnung auf eine IM-Norm
mußte somit sehr früh auf das nächste Jahr verschoben werden.
Die ausländischen Gäste zeigten sehr gute Leistungen. IM Robert Tibensky aus der
Slowakei war ein sicherer Sieger, GM Jiri Lechtynsky, Tschechien, vebuchte nur eine
Niederlage (gegen Christian Weiß) und IM Janas Banas, Slowakei, blieb ungeschlagen.
Überraschend gute Partien zeigten die Gäste aus Deutschland und den Niederlanden.
David Groß fehlte in manchen Partien der letzte kleine Schritt vom Remis zum Sieg, er
beendete das Turnier ebenso mit 50% wie der Holländer Harmen Jonkman. Bei letzerem war
noch bis zu seiner Niederlage gegen Peter Kranzl (4. Runde) eine IM-Norm in Reichweite.
Für die Zuschauer wurde beim Siemens-Turnier eineiges geboten. Täglich wurde eine
Partie mit Video direkt in den Zuschauerraum übertragen und von heimischen
Spitzenspielern kommentiert. Es ist zu hoffen, daß mit Unterstützung der Firma Siemens
im kommenden Jahr den oberösterreichischen Spitzenspielern eine neue Chance auf die
Erbringung einer IM-Norm geboten werden kann.
IS Werner Stubenvoll, Linz
Rang Titel NAT ELO 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Total Wtg SB
1 IM J. Tibensky SVK 2425 * ½ ½ ½ ½ 1 1 1 1 1 7
2 GM J. Lechtynsky CZE 2425 ½ * ½ 1 1 1 0 1 ½ 1 6½ 26,50
3 IM J. Banas SVK 2370 ½ ½ * ½ ½ 1 1 ½ 1 1 6½ 27,75
4 FM H. Rolletschek AUT 2320 ½ 0 ½ * 0 0 1 1 1 1 5
5 FM D. Groß GER 2300 ½ 0 ½ 1 * 0 1 1 0 ½ 4½ 19,25
6 FM H. Jonkman NED 2325 0 0 0 1 1 * 1 0 1 ½ 4½ 17,00
7 C. Weiß AUT 2290 0 1 0 0 0 0 * 1 1 1 4
8 FM P. Kranzl AUT 2225 0 0 ½ 0 0 1 0 * ½ ½ 2½ 10,00
9 FM A. Hellmayr AUT 2300 0 ½ 0 0 1 0 0 ½ * ½ 2½ 10,00
10 H. Knoll AUT 2245 0 0 0 0 ½ ½ 0 ½ ½ * 2
Elo-Durchschnitt 2322 FIDE-Kat. 3
Der Turniersieger stellt sich vor
Im Folgenden eine Spielprobe des Turniersiegers:
Weiß: IM R. Tibensky
Schwarz: C. Weiß
Königsindisch im Anzug [E65]
Anm. FM Dr. Heinrich Rolletschek
1. d4 g6 2. g3 Lg7 3. Lg2 d6 4. Sf3 c5 5. 0-0 cxd4 6. Sxd4 Sf6 7. c4 0-0 8. Sc3 a6
9. h3 Dc7 10. b3 Sc6 11. Le3. Weiß hat einen zurückhaltenden Aufbau gewählt und
insbesondere - im Gegensatz zum normalen Igelaufbau - seinen e-Bauern auf dem Ausgangsfeld
belassen. Diese Spielweise genügt jedoch, um ihm zumindest einen Raumvorteil zu sichern.
11. ...Ld7 12. Tc1 Da5 13. c5!?. Ein überraschender Vorstoß; es ist jedoch
fraglich, ob Weiß damit seine Stellung verbessert. Natürlich kam auch eine ruhige
Spielweise mit 13. Dd2 usw. in Frage.
13. ...d5. Das ist sicherlich die angemessene Antwort. Nach anderen Zügen
behält Weiß die besseren Chancen, z.B.: 13. ...dxc5 14. Sxc6 Lxc6 15. Lxc6 bxc6 16. Sa4
und Schwarz verbleibt mit einem schwachen Bc6; 13. ...Sxd4 14. Lxd4 dxc5 15. Lxf6 Lxf6 16.
Dxd7 Lxc3 17. Dxe7 und Weiß steht günstiger, da der Bb7 schwach ist und Weiß die
Möglichkeit hat, sich das starke Läuferfeld d5 zu sichern.
14. Sxc6. Beginnend mit diesem Zug verfolgt Weiß einen konsequenten Plan:
Schwarz soll mit einem schlechten Läufer belastet, die schwarzfeldrigen Läufer sollen
abgetauscht werden. Auf 14. Sxd5 hätte Weiß am besten 14. ...Sxd5 15. Lxd5 Dxa2
gespielt, wonach es nicht leicht ist, eine überzeugende Fortsetzung für Weiß zu finden.
Weniger gut wäre es, den Bauern auf h3 zurückzugewinnen: nach; 14. Sxd5 Sxd5 15. Lxd5
Lxh3? 16. Sxc6 bxc6 17. Lxc6 Tac8 18. Lg2 Lxg2 19. Kxg2 Dxa2 hätte Weiß dank des starken
Freibauern auf c5 klaren Vorteil.
14. ...bxc6 15. Ld4 Dc7 16. f4 Sh5. Natürlich kann Schwarz den Springer nicht
auf Dauer auf f6 lassen, um den Tausch der schwarzfeldrigen Läufer zu vermeiden, und auch
16. ...Lh6 17. Lxf6 exf6 18. e4! wäre für Schwarz ungünstig.
17. Lxg7 Kxg7 18. Dd4+ f6 19. Df2 e5 20. e3 f5. Eine solche Schwächung der
schwarzen Felder kann wohl nicht gut sein, zumal der Wirkungsbereich des schwarzfeldrigen
Läufers weiter eingeschränkt wird. Trotzdem ist die Sache weiterhin keineswegs klar.
Gegen die Drohung 21. g4 konnte sich Schwarz auch mit 20. ...Kg8 verteidigen, wonach die
Stellung ziemlich ausgeglichen sein dürfte.
21. Sa4 Tae8. Hier hatte Schwarz die Möglichkeit, den Punkt e5 zu halten, und
zwar mit 21. ...Lc8 22. Sb2 Sf6 23. Sd3 Sd7. In diesem Fall wäre die Lage noch keineswegs
einfach, zumal Schwarz zu a5 nebst La6 bereitsteht. Weiß müßte dann vielleicht zweimal
auf e5 tauschen, worauf die Schwäche der schwarzen Felder bei Schwarz wahrscheinlich
etwas mehr wiegt als die des Be3. Diese letzte Feststellung würde in einem eventuellen
Endspiel noch klarer zutreffen, weshalb 21. ...Le6 (?) 22. Sb2 Sf6 23. Sd3 Sd7 24. Db2
Tfe8 25. Sxe5 Sxe5 26. Dxe5+ Dxe5 27. fxe5 Ld7 28. Tf4 Txe5 29. Kf2 etc. klar vorteilhaft
für Weiß wäre.
22. Sb2 Lc8 23. Sd3 e4 24. Se1 g5. Schwarz findet sich mit der bevorstehenden
Besetzung des Feldes d4 ab und sucht taktische Gegenchancen. Tatsächlich fällt dem
Weißen der Gewinn noch keineswegs leicht, obwohl die Partie im positionellen Sinn zu
seinen Gunsten entschieden ist. Aussichtsreicher erschien mir das Bauernopfer 24. ...d4!
25. exd4 g5!. Da 26. fxg5? nicht geht, hat Weiß nun Sorgen mit dem Bf4, und Schwarz hat
unter anderem die Möglichkeit, seinen Läufer nach a6 oder d5 zu bringen. Andererseits
sollte Schwarz nicht zu früh auf f4 tauschen, da Weiß sonst mit Dh4 kräftig ins Spiel
käme. Die Stellung wäre ausgesprochen unklar.
25. Sc2 Te6 26. Kh2 Tg6 27. Tg1.
27. ... Kh6?. Erst jetzt gerät Schwarz endgültig in klaren Nachteil. Er hätte
den König nach h8 ziehen sollen. Warum, zeigt sich bald.
28. Lf1 Tfg8 29. Le2 gxf4 30. gxf4 Sg3 31. Sd4 De7 32. Tg2 Sxe2. Dieser Abtausch
war früher oder später unvermeidlich, etwa nach 32. ...a5 33. a3 T6g7 34. b4 axb4 35.
axb4 Db7 36. b5 cxb5 37. Lxb5 nebst Tcg1. Damit hat Schwarz für den positionellen
Nachteil keine Kompensation mehr. Hätte er 27. ...Kh8 gespielt, dann wäre jetzt 32.
...h5 nebst h4 möglich. Die Figurenkonzentration von Schwarz am Königsflügel würde
dann zwar keinen Mattangriff ermöglichen, aber Weiß zu ständiger Aufmerksamkeit
zwingen.
33. Txg6+ Txg6. Die vorläufige Beherrschung der g-Linie durch Schwarz hat jetzt
keine wesentliche Bedeutung; zum Mattsetzen ist einfach nicht genug Material vorhanden.
33. ...hxg6 würde zwar die Schwäche auf f5 beseitigen, aber am weißen Postionsvorteil
nichts ändern.
34. Dxe2 a5. Mit 34. ...Dh4 35. De1 war auch nichts zu ereichen.
35. a3 Da7 36. Df2 Kh5 37. De2+ Kh6 38. b4 axb4 39. axb4 Da3 40. Dd2 Kh5 41. Tg1 Ld7
42. Tb1. Nach 42. Txg6 Kxg6 wäre es wegen der aktiven Stellung der schwarzen Dame
für Weiß nicht einfach, weiterzukommen. Deshalb hätte vielleicht Schwarz selbst die
Türme tauschen und Weiß vom Tauschangebot Abstand nehmen sollen.
42. ...Lc8 43. Dd1+ Kh6 44. Db3 Da7 45. Db2 Dc7 46. Db3. In überlegener
Stellung verfolgen Schachspieler gerne das Prinzip: nichts überstürzen, herumfahren und
sehen, ob sich der Gegner nicht vielleicht selbst umbringt. Da Schwarz nichts Wesentliches
unternehmen kann, da sich Weiß selbstverständlich den einen oder anderen Zeitverlust
erlauben.
46. ...Dg7 47. Dc2 Da7 48. b5. Natürlich wäre dieser Vorstoß mit 47. ...Ld7
zu verhindern gewesen, denn nach 48. ...cxb5 folgt dann 49. c6. Nach der Bildung eines
Freibauern auf c6 ist das Ende in jedem Fall nahe.
48. ...cxb5 49. Txb5 Da3 50. Tb3 Da5 51. Tb1 Da3 52. Dc1 Da7 53. c6 De7 54. De1
Da3?. Auf Dauer nichts zu tun, hält kein Schachspieler aus, und so ist es kein
Wunder, daß Schwarz schließlich einen Fehler begeht, der die Partie sofort beendet. Bei
anderen Zügen konnte Weiß als nächstes Df2 nebst Tg1 spielen, denn die Umstände für
den Turmtausch sind jetzt selbstverstänlich viel günstiger als beim 42. Zug.
55. Sxf5+ Lxf5 56. Dh4+. Schwarz gibt auf, denn nach 56. ...Kg7 57. Tb7+ folgt
Matt in wenigen Zügen.